Verletzungen oder Erkrankungen des Rückenmarks bedeuten für die Betroffenen oft ein Leben mit schwerer körperlicher Behinderung. Bei der Querschnittläsion sind es nicht nur die Extremitäten, die keine sensorische und motorische Kontrolle mehr erlauben, je nachdem, ob komplette oder inkomplette Parese unterschieden werden muss. Auch ganz banale physiologische Funktionen werden beeinträchtigt. Ohne die Steuerung des zentralen Nervensystems funktioniert zum Beispiel die willentliche regelmäßige Entleerung der Blase nicht mehr.
Mehr als die Hälfte der Querschnittgelähmten leiden an neuropathischen Schmerzen. Das sind definitionsgemäß Schmerzen, die bei einer Verletzung oder Erkrankung des Rückenmarks regelhaft entstehen. Charakteristisch ist das anfallsartige Auftreten. Die Schmerzen sind stark, einschießend, stechend, brennend oder auch dumpf und kalt. Sie können als zeitlich begrenzter Anfall auftreten, oder tagelang anhalten und in chronische Schmerzen übergehen. Die Lebensqualität wird erheblich negativ beeinflusst.
Schmerzmedikamente können abhängig machen. Aber es gibt kaum eine Alternative dazu. Für den Querschnittgelähmten bedeutet das, entweder Schmerzen aushalten oder Schmerzmittel sinnvoll gebrauchen. Der Einfluss auf die Lebensqualität gilt meines Erachtens als Leitlinie der Therapie. Es ist deshalb sinnvoll, bei sporadischen und bei Dauerschmerzen eine abgestufte permanente Schmerzbehandlung einzusetzen. Dabei gilt es, die Entwicklung eines „Schmerzgedächtnisses“ zu verhindern. Im engeren Sinne bedeutet das, permanent eine der Schmerzstufe angepasste Medikation dauernd zu verabreichen. Eine Anwendung „bei Bedarf“ ist zu vermeiden, weil das dazu führen kann, durch das „Warten auf den Schmerz“ das Schmerzgedächtnis zu entwickeln. Dabei gibt es schon in der ersten Stufe nach WHO Medikamente mit vierundzwanzig Stunden Wirkung bei einmaliger Einnahme.
Selbstverständlich muss vor jeder Therapie eine ärztliche Untersuchung und eine Diagnose stehen. Es sollte sicher ausgeschlossen werden, dass Schmerzen zum Beispiel von einem Dekubitus ausgehen, der anders behandelt werden muss, als neurogene Schmerzen.
Unter persönlichem Haftungsausschluß gebe ich das WHO-Schema zur Schmerztherapie bekannt mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es nur von erfahrenen Ärzten angewandt werden darf.
Von einer „Selbstbehandlung“ auch nur ansatzweise, rate ich dringend ab!
Das WHO-Stufenschema ist eine von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte Empfehlung zum Einsatz von Analgetika und anderen Arzneimitteln im Rahmen der Schmerztherapie.
Trotz großer Fortschritte und Aufklärung ist die analgetische Therapie in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, unzureichend. Schätzungen zufolge leiden etwa 5 Millionen Deutsche ständig oder regelmäßig unter starkem Schmerz. Beim pro Kopf Morphin-Verbrauch belegt Deutschland im internationalen Vergleich innerhalb Europas nur einen der unteren Ränge. So ist der Verbrauch in Deutschland im Vergleich mit dem Spitzenreiter Dänemark siebenmal geringer.
Ziel einer adäquaten Schmerztherapie ist es, die rechtzeitige Schmerzfreiheit des Patienten herzustellen und dadurch eine Chronifizierung des Schmerzes(Stichwort: "Schmerzgedächtnis") zu verhindern. Hierzu sollte eine stufenweise an die Beschwerden des Patienten angepasste analgetische Therapie nach dem 1986 entwickelten sogenannten WHO-Stufenschema erfolgen, in dem schrittweise eine gezielte Eskalation der analgetischen Medikation stattfindet.
Es gibt drei Stufen der analgetischen Therapie:
Stufe | Medikamente |
Stufe 1 | Nicht-Opioidanalgetika |
Stufe 2 | Niederpotente Opioidanalgetika + Nicht-Opioidanalgetika |
Stufe 3 | Hochpotente Opioidanalgetika + Nicht-Opioidanalgetika |
In jeder Stufe sollen bedarfsadaptiert unterstützende Maßnahmen wie Physiotherapie, Balneotherapie etc. und eine sogenannte Co-Medikation eingesetzt werden.
Zu den Nicht-Opioidanalgetika gehören:
Wirkstoff | Einzeldosierungen [mg] | Wirkdauer [h] | Höchstdosis [mg/24h] |
Acetylsalicylsäure (ASS) | 500 | 4-6 | 3000 |
Diclofenac | 25, 50 | 8 | 150 |
Diclofenac retardiert | 75, 100 | 24 | 150 |
Ibuprofen | 400, 600, 800 | 6-8 | 2400 |
Ibuprofen retardiert | 800 | 12 | 2400 |
Celecoxib | 100, 200 | 12 | 400 |
Valdecoxib | 10, 20 | 12 | 40 |
Metamizol | 500, 1000 | 4-6 | 4000 |
Paracetamol | 500 | 4-6 | 4000 |
Zu den niederpotenten Opioidanalgetika gehören:
Wirkstoff | Einzeldosierungen [mg] | Wirkdauer [h] | Tageshöchstdosis [mg] |
Tramadol | 50 ,100 | 4 | 400 |
Tramadol retardiert | 100, 150, 200 | 8-12 | 400 |
Tillidin + Naloxon | 50 + 4, 100 + 8 | 8 - 12 | 600 |
Tillidin + Naloxon retardiert | 50 + 4, 100 + 8, 150 + 12, 200 + 16 | 24 | 600 |
Dihydrocodein | 60, 90, 120 | 8-12 | 240 |
Zu den hochpotenten Opioidanalgetika gehören:
Buprenorphin und Fentanyl stehen in Form von Transdermalsystemen (TTS) als so genanntes"Schmerzpflaster" zur Basistherapie zu Verfügung. Es gibt aber auch orale Applikationsformen in Form von sublingualen Schmelztabletten (Buprenorphin) oder Lutschtabletten (Fentanyl) zur Schmerzspitzenmedikation. Der oft beschriebene Ceiling-Effekt bei Buprenorphin wird in der transdermalen Applikationsform widersprüchlich diskutiert, zurzeit kann aber wohl davon ausgegangen werden, dass bis mindestens 140 µg/h dieser nicht auftritt.
Morphin wird oral in Form von Morphinsulfat (MST) eingesetzt. Zur Schmerzspitzenmedikation steht Morphinhemisulfat mit einer schnelleren Anschlagszeit zu Verfügung.
Wirkstoff | Einzeldosierungen | Wirkdauer [h] | Tageshöchstdosis [mg] |
Buprenorphin TTS | 35 µg/h, 52,5 µg/h, 70 µg/h | 72 | keine? (Ceiling-Effekt?) |
Fentanyl TTS | 25 µg/h, 50 µg/h, 75 µg/h, 100 µg/h | 72 | keine |
Hydromorphon | 4, 8, 16, 24 | 8-12 | keine |
Morphin (MST) | 10, 30, 60, 100, 200 | 8-12 | keine |
Oxycodon | 10, 20, 40, 80 | 8-12 | keine |
Die sogenannte Co-Medikation dient einerseits zur Unterstützung der Analgesie z.B. bei neuropathischem Schmerz, andererseits zur Behandlung der Nebenwirkungen der Analgetika. Eine Co-Medikation kann und soll in jeder Stufe des WHO-Schemas eingesetzt werden. Nebenwirkungen wie Übelkeit und Obstipation treten überwiegend in den Stufen 2 und 3 als unerwünschte Arzneimittelwirkung durch die Opioidanalgetika auf.
Wichtig ist die Aufklärung des Patienten über den Einsatz der Co-Medikation und deren Wirkungsweise. Da die Hauptindikationen vieler Co-Medikamente in anderen Bereichen liegen (Antidepressiva, Antikonvulsiva), könnte der Patient bei fehlender Aufklärung nach Durchlesen des Beipackzettels einen falschen Eindruck bekommen ("Mein Arzt hält mich jetzt für einen depressiven Hypochonder und verschreibt mir daher Antidepressiva!" oder" Ich habe doch gar keine Epilepsie, warum verschreibt mir mein Arzt Mittel dagegen?") und das bei der Schmerztherapie sehr wichtige Vertrauensverhältnis zum Arzt empfindlich stören.
Folgende Medikamente werden zur Unterstützung der Analgesie eingesetzt:
Folgende Medikamente werden zur Behandlung der Nebenwirkungen der Analgetika eingesetzt:
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Seit Januar 2014 werden meine Schmerzen nach diesem Schema bekämpft. Inzwischen bin ich nahezu schmerzfrei und habe ein erhebliches Maß an Lebensqualität zurückgewonnen. Bis auf gelegentliche Kreislaufstörungen im Stehen habe ich keine Nebenwirkungen.