Rezension von Werner Pohl,

Fachjournalist und Autor des Magazins „Rehatreff“ im AWS-Medienverlag, Ettlingen.

Rehatreff 2 / 14, S. 72

 

Mein Körper, der Feind

 

Meine Mutter, eine lebenskluge Frau mit einem Sinn für trockenen Humor, meinte einmal: „Jeder taugt zu was, und sei es als abschreckendes Beispiel.“ Dieser Satz kam mir in den Sinn, nachdem ich mich durch Jürgen Kuhls Buch gekämpft hatte. Um Missverständnissen vorzubeugen: es liegt mir fern, den Autor in seiner Eigenschaft als Person als abschreckendes Beispiel bezeichnen zu wollen. Das verbietet schon der Respekt vor der ernsten Materie seines Buches, in dem er ja zugleich der Protagonist ist.

 

Kuhls Leben veränderte sich dramatisch durch einen unverschuldeten Motorradunfall, der ihn zum Tetraplegiker machte. Er berichtet autobiografisch über seine Erfahrungen im Koma, die sich anschließende Rehabilitation und sein „neues“ Leben. Prägend für seine Schilderungen ist, dass er aus der Perspektive seines Berufes als Arzt berichtet. Der Untertitel „ein Arzt packt aus“ gibt denn auch schon den Fingerzeig auf die Intention des Werks. Neben der Darstellung des eigentlichen Geschehens widmet sich Kuhl der kritischen Betrachtung dessen, was ihn im Zuge zahlreicher Krankenhausaufenthalte seit seinem Unfall widerfahren ist. Pflegekräfte, Ärzte, der gesamte medizinische Betrieb kam dabei nicht gut weg. Schenkt man den sehr ausführlichen Schilderungen des Autos über alles Ungemach, das ihm als Patient widerfahren ist, Glauben, dann sind Bosheit, Schlampigkeit, Faulheit, Arroganz, Inkompetenz und Gleichgültigkeit prägende Faktoren im Krankenhausbetrieb.

Aber auch außerhalb von Klinikmauern sammelt Kuhl reichlich schlechte Erfahrung. Gerade ein hochgelähmter Tetraplegiker ist, das liegt in der Natur der Sache, in besonderem Maß darauf angewiesen, dass ihm kompetente Unterstützung zuteil wird, weil er zu vielen Verrichtungen nun einmal selbst nicht in der Lage ist. Kuhl weiß sich, das geht aus seinen Berichten hervor, regelmäßig nicht anders zu helfen, als den ihn umgebenden Pflegekräften juristische Konsequenzen in Form von Klagen wegen unterlassener Hilfeleistung anzudrohen. Kuhl ist der Patient, bei dem diesbezüglich alles schief geht, was schief gehen kann oder mindestens fast alles.

Ein ausführliches Kapitel seines Buches widmet Kuhl der akribischen Schilderung sämtlicher mit seinem körperlichen Zustand verbundener Phänomene, Einschränkungen und Funktionsausfälle. Verstärkung erfahren die penibel katalogisierten Leiden durch Inkompetenz und Missgeschick von Menschen in seinem häuslichen Alltag, wo ihm, scheint‘s auch nicht mehr Glück beschieden ist als andernorts. Jürgen Kuhl, einst ein sportlicher Mensch, hat im Zuge der Bewältigung seines Schicksals sämtliche vordem genutzten Sportutensilien vernichtet. „Restlos, einschließlich der Bilder und Dokumente. Nichts sollte mich an mein früheres Leben erinnern. Das ist jetzt Historie.“ Der Einstellung zu seinem Körper verleiht er mit deutlichen Worten Ausdruck: „Der Körper schmerzt. Er wird zum Feind, und der muss besiegt werden.“

 

Was das Leben mit einer schweren Behinderung allgemein bedeutet, darüber sagt der Klappentext des Buches: „Auch die Würdigung der gesellschaftlichen Stellung und der Wahrnehmung eines Behinderten im alltäglichen Leben betrachtet der Autor anhand von eindrucksvollen Beispielen. Betroffene erhalten einen Ausblick.“ Auf die in „Mensch ohne Schatten“ gewährte Ausblicke ist vermutlich kein Betroffener erpicht. Aber vielleicht taugt dem einen oder anderen ja der Umgang des Autors mit seiner Situation als abschreckendes Beispiel.


 

© Werner Pohl

 http://www.Rehatreff.de

 

 

 

Mensch ohne Schatten  

 

Jürgen Kuhl praktiziert als Gynäkologe,  bis er durch einen Motorradunfall eine    inkomplette Tetraplegie (hohe Lähmung) erleidet. Seine Erfahrungen als Schwerkranker, der aufgrund seiner Erkrankung von anderen Menschen abhängig ist, beschreibt er in seinem Buch “Mensch ohne Schatten”.

Zunächst einmal reiht sich das Buch in eine Vielzahl von Selbsterfahrungsbüchern ein. Allerdings unterscheiden sich die Erfahrungen von Jürgen Kuhl darin, dass er Arzt ist und seine Krankheit und Behandlung nicht nur als Patient, sondern auch aus seiner ärztlichen Perspektive erlebt. Das wiederum macht das Buch interessant.
Leider ist “Mensch ohne Schatten” aber nicht chronologisch, was zumindest bei mir zu Irritationen geführt hat: gerade erfahre ich, dass es Probleme nach einer OP gibt und einige Kapitel später erst erfahre ich, dass und warum diese OP erforderlich ist.
Dieser Verzicht auf Chronologie führt auch zu einem nicht unerheblich redundanten Inhalt. Dennoch ist es interessant, zu lesen, wie ein Mensch, der eben noch vital, sportlich und gesund sein Leben genoss, plötzlich scheinbar an einem Schlusspunkt steht, der für jeden, der es nicht selbst erlebt hat,unvorstellbar ist und es auch bleibt.

Sicher ist der Erfahrungsbericht für Ärzte und Pflegepersonal wichtig, denn die kritischen Anmerkungen des Autors könnten dieser Berufsgruppe helfen, in Bezug auf Patienten umzudenken. Auch Patienten können etwas lernen: es lohnt sich, sich zu beschweren und man wird deswegen nicht unbedingt schlechter behandelt.

Insgesamt habe ich mir inhaltlich jedoch mehr versprochen. Mir fehlt, da der Autor Arzt ist, der Versuch, sich objektiv mit unserem Gesundheitssystem und seinen Grenzen auseinander zu setzen. Jürgen Kuhl bleibt überwiegend bei sich. Insofern ist das Buch sehr selbst bezogen.Vielleicht auch mit Recht, denn es handelt sich ja um einen Selbsterfahrungsbericht.

Angaben zum Buch: Mensch ohne Schatten: Ein Arzt packt aus

 

 About the author

 © Heike Bohnes
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