Mensch ohne Schatten

    Ein Arzt packt aus

 

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Die Wissenschaft der Medizin ist wunderbar, aufregend und vielseitig. Sie könnte vielen Menschen helfen, wenn es einige Ärzte nicht gäbe. Im Folgenden gebe ich ein Kapitel wieder, das meinem Buch entnommen ist. Dort zu finden unter der Überschrift

„Ärzte, die mich behandelt haben“.

 

 

Der Magensaure

 

Die Lymphknoten in der linken Leiste störten bei jeder Form der Therapie. Es war gleichgültig, ob ich auf meinem Giger MD Kraft oder Ausdauer trainierte: Nach kurzer Zeit lösten die Leistenlymphknoten ein starkes Harndranggefühl aus, sodass ich das Training unterbrechen musste. Wenn der Physiotherapeut die Adduktoren bearbeitete, ging auch das nicht lange gut, weil ebenfalls starker Harndrang entstand und die Therapie unterbrochen werden musste. So konnte das keinesfalls weitergehen. Eine Operation wollte ich eher nicht haben. Aber mein Hausarzt hatte auch keine andere Idee. Und so entschloss ich mich, in die Gefäßabteilung der Klinik W. zu gehen, um mich dort bei Herrn Dr. B. vorzustellen.

 

Obwohl ich meine Anamnese und meine Medikamentenliste im Voraus per Fax geschickt hatte, damit Herr Dr. B. über mich Bescheid hätte wissen können, musste ich einen mehrseitigen Fragebogen ausfüllen, der meine bereits gemachten Angaben erneut abfragte. Erstaunt war ich schon. Anscheinend hielt man hier nichts vom Mitdenken. Manche Chefärzte sind so, dachte ich. Und in meiner Erinnerung zog so das eine oder andere Gesicht vorbei. Obwohl ich einen Termin hatte, musste ich fast eine Stunde warten. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir aber, dass ich mit der Blase noch nicht in Konflikt geraten würde.Da ging auch schon die Tür auf und es erschien der Herr Chefarzt. Lang, hager,mit magensaurem Zitronengesicht. Das konnte ja heiter werden.

 

Wir wechselten den Raum und er bat mich, mich auf die Liege zu legen, damit er meine Leiste untersuchen könne. Mein Pflegeassistent, Herr R., und ich konnten ihn nur mit größter Mühe davon abhalten, mir helfen zu wollen. Immerhin machten wir das schon acht Jahre miteinander und verstanden uns ohne Worte. Und einem gut meinenden, aber schlecht machenden Chefarzt wollte ich mich keinesfalls anvertrauen. Er bohrte also in meiner Leiste herum und machte sich dann wichtige Notizen, indem er mich noch einmal alles abfragte, was ich Wochen vorher per Fax geschickt hatte, auf seinem wichtigen Anamnesebogen nochmals angekreuzt und ausgefüllt hatte. Ich hatte das Gefühl,dass, je mehr ich von mir und meinen Befunden berichtete, er immer weniger von dem verstand, was ich sagte. Schließlich brach er das Gespräch ab und schickte mich zur Dopplersonografie.

 

Nach kurzer Wartezeit wurde ich tatsächlich in den Raumgebeten. Er wurde beherrscht von einer Ärztin, um die fünfzig Jahre alt; die Naturlocken hatte sie hinten zusammengebunden. Ihre graue Gesichtsfarbe wurde unterstützt von den ersten Silberfäden, die sich durch ihr Haar zogen. Der Raum wurde nur erhellt durch einen Lichtkasten, wie man ihn zur Betrachtung von Röntgenbildern benötigt. Das Untersuchungszimmer war ungefähr zwanzig Quadratmeter groß. In der dunkelsten Ecke stand das wuchtige Ultraschallgerät mit der Untersuchungsliege. Die Tür zu diesem Raum war so schmal, dass ich mit dem Rollstuhl nicht hindurchpasste. Daraufhin erklärte ich der Kollegin, dass dies kein Problem darstellte, weil ich mithilfe meines Pflegeassistenten in der Lage wäre, die zehn Schritte bis zur Untersuchungsliege zu gehen. Das taten wir dann auch, indem wir jede Hilfe abwehrten.

 

Als ich noch drei Schritte von der Liege entfernt war,glaubte ich, meinen Ohren nicht zu trauen – sie fragte meinen Pflegeassistenten: „Kann er alleine auf die Liege steigen?“ Wir kannten solche Situationen schon. Da wir nach unten auf meine Füße schauten, konnte sie unser Grinsen nicht sehen. Obwohl sie ihn angesprochen hatte, schwieg er, wie wir es verabredet hatten. Statt seiner antwortete ich mit fester Stimme: „ER hat einen Namen, nämlich Dr. Kuhl, und ist nicht verblödet. ER kann in der ersten Person angesprochen werden und kann für sich selbst sprechen: Ich benötige keine Hilfe, ich kann das alleine!“ Nunmehr beherrschte eisiges Schweigen den Raum.

 

Die Frau Doktor kannte offensichtlich sämtliche Blutgefäße des Körpers millimetergenau. Jedenfalls gewann ich diesen Eindruck, als sie ihre Untersuchung abgeschlossen hatte. Sie stellte meinen Befund ihrem Chef vor. Dann war die Untersuchung beendet und – wer hätte es gedacht – es war weit und breit keine Thrombose zu entdecken und auch keine arterielle Gefäßverengung. Toll! Irgendwie passte diese Antwort nicht zu meiner Fragestellung. Aber das wollte ich nicht mit der Frau Doktor klären, um zu verhindern, dass sie mich vielleicht wieder in der dritten Person anspricht.

 

Ich war geduldig und wartete nochmals eine halbe Stunde, bis der Chefarzt Zeit hatte, mir das Ergebnis seiner aufregenden Diagnostik mitzuteilen. Wir setzten uns feierlich in seinem Chefarztzimmer zusammen. Ich wartete darauf, dass er seine Diagnose vor mir ausbreitete. Doch was dann herauskam, war die dünne Brühe eines magensauren Bedenkenträgers, der Angst vor dem eigenen Tun hatte. Alle möglichen Komplikationen und Nebenwirkungen eines derartigen Eingriffs bauschte er auf, dass einem medizinischen Laien das Grausen gekommen wäre. Ich musste mich zusammennehmen, dass ich nicht laut anfing zu lachen.

 

Wir verabschiedeten uns voneinander. Später konnte ich dann alles noch einmal in seinem Arztbrief lesen, den er an meinen Hausarzt geschickt hatte. Er hatte von allem abgeraten unter besonderer Hervorhebung auch der seltensten Komplikationen. Die Inkompetenz lässt grüßen!

 

Ich habe den Eingriff dann später in einer anderen Klinik von einem anderen chirurgischen Chefarzt durchführen lassen: kurz, knapp und professionell. Das Residuum, das seinerzeit im Ultraschall zu sehen war, hatte sich aufgelöst. Übrig geblieben waren nur reaktiv verkalkte Lymphknoten.Harmlos!